Mit seiner Schrift "Über das Sehn und die Farben" erhob der 25-jährige Schopenhauer den Anspruch, Goethes Farbenlehre nicht nur zu verteidigen, sondern sie zu vollenden und im Kern zu korrigieren. Das eigentliche Urphänomen läge nicht in der Polarität von Licht und Finsternis, sondern in der physiologischen Funktionalität des Auges. Eben damit aber vollzieht er eine Verbannung der Farben aus der äußeren Welt in das sehende Subjekt, die mehr auf der Linie der Newtonschen Physik als der Goetheschen Farbenlehre liegt. Der Vortrag rekonstruiert Goethes Farbenlehre als eine philosophisch fundierte Kritik eben dieser Subjektivierung und Geringschätzung der Farben in Kunsttheorie, Physik und Philosophie. Die Gründe für Schopenhauers (Miss-)Verständnis sind in seiner philosophischen Auffassung der "Welt als Gehirnphänomen" zu finden, die von einer Sinnesphysiologie seiner Zeit geprägt, aber bis heute, im Zeitalter der Neurophysiologie, attraktiv geblieben ist.