Etwa 224 Jahre nach Goethe wird die Goethe-Gesellschaft Hannover nach Venedig Reisen und im Lichte des Heute das Gestern aufspĂŒren. Manches hat die Geschichte ĂŒberdauert und legt ein lebendiges Zeugnis ab von den turbulenten UmbrĂŒchen der traditionsreichen Lagunenstadt. Zur Vorbereitung der Exkursion waren sowohl die âReise durch Italien im Jahre 1740â von Johann Caspar Goethe als auch die âItalienische Reiseâ des Sohnes Johann Wolfgang anregend; es ist wohl kaum ĂŒberraschend: Der Blick des Sohnes ist ein anderer als der des Vaters! Johann Wolfgang Goethe richtet sein Augenmerk auf die fremde Kultur, die er sich staunend erschlieĂt; denn sie bietet das, was ihm im Norden fehlt: eine durch das gĂŒnstige Klima und den Abstand von den Alltagspflichten sich ausbreitende Sorglosigkeit und die damit verbundene individuelle Freiheit inmitten mediterraner Sinnenfreude.
Die Teilnehmer der Reise werden eine eigene Sicht der Dinge, einen eigenen Blick auf die Stadt bekommen, aber ganz im Sinne Goethes die stille Sehnsucht nach dem UrsprĂŒnglichen nachempfinden, nach der Einheit in der Vielheit.
Und fröhlich sind seine Gedanken jenseits der Alpen nachzufĂŒhlen:
âSo stand es denn im Buche des Schicksals auf meinem Blatte geschrieben, dass ich d 28 Sept. Abends, nach unsrer Uhr um fĂŒnfe, Venedig zum erstenmal, aus der Brenta in die Lagune einfahrend, erblicken, und bald darauf diese wunderbare Inselstadt, diese Biber Republick betreten und besuchen sollte. So ist denn auch Gott sey Dank Venedig kein bloses Wort mehr fĂŒr mich, ein Nahme, der mich so offt, der ich von je her ein Todtfeind von WortschĂ€llen gewesen bin, so oft geĂ€ngstigt hat.â
Goethe, âTagebuch der italienischen Reise 1786â, [28.09.1786]
Poetischer Reisebericht
Almut und Christian Meyer-Plath Venedig, am 14. Oktober 2010
im Ristorante Barababao
Venedig
mit der Goethegesellschaft Hannover
vom 8. bis 15. Oktober 2010
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Wenn die Gondeln Trauer tragen, Thomas Mann umarmt den Tod, Goethen willâs nicht recht behagen, Rilke fĂŒhlt das Abendrot ---
Wagner muĂtâ von hinnen scheiden, Stravinski liegt im kĂŒhlen Grab --- -- man sollte die Lagune meiden, sonst gibt man schnell den Löffel abâŠ.
Selbst die Masken zeigen Leiden, dĂŒstâre Töne, Depression. Venedig ist nicht zu beneiden, es versinkt, man sieht es schon!
Goethe wuĂtâ nichts Gutâs zu sagen einst im FrĂŒhling am Canal; wartend auf Amaliens Wagen ward Venedig ihm zur Qual.
Sechsundachtzig: reine Wonne ! Neunzig: Desillusion ! Damals alles helle Sonne ! Dann nur KĂ€lte --- trĂŒber Ton.
LaĂt uns Goethe selber hören, Epigramme, kurz und klar, die den Jubel jĂ€h zerstören, der ihm doch einst Wahrheit war:
(Epigramm Nr.20; 1790:)
Ruhig am Arsenal stehn zwei altgriechische Löwen; Klein wird neben dem Paar Pforte, wie Turm und Kanal, KĂ€me die Mutter der Götter herab, es schmiegten sich beide Vor den Wagen, und sie freute sich ihres Gespanns. Aber nun ruhen sie traurig; der neue geflĂŒgelte Kater, Ăberall schnurrt er, und ihn nennt Venedig Patron.
Und dann noch dieser Satz; auch von 1790:
Ăbrigens muĂ ich im Vertrauen gestehen, daĂ meiner Liebe fĂŒr Italien durch diese Reise ein tödlicher StoĂ versetzt wird. Nicht daĂ mirs in irgendeinem Sinne ĂŒbel gegangen wĂ€re, wie wollt es auch? Aber die erste BlĂŒte der Neigung und Neugierde ist abgefallen.
(2010): Doch nun nahân mit krĂ€ftâgen Tritten Wir, mit Elke Kantian, und mit kĂŒhnen Zeitenschritten gucken wir Venedig an.
Sehân was alt und was lebendig, schauân die Renaissance uns an. SpĂŒren wohl, was hier elendig, aber auch, was wohl getan!
Kirchen, Klöster, all die BrĂŒcken (und ist doch nur ein kleiner Teil) --- Ja, es ist ganz zum EntzĂŒcken! âŠ.doch wir ziehân dahin in Eil.
Gott sei Dank gibt es KanĂ€le, kleine, âgrandeâ, ohne Zahl. Auf dass sich der FuĂ nicht quĂ€le fahrân wir Dampfer, mal um mal. ----------------------
Duino liegt ganz wunderbar, der Schotte fĂŒhrte heiter. (Ach Rilke, deine Elegie ⊠Wir hoffen, doch verstehân sie nie âŠ) Der Kaiser dann in Miramar, er kam erheblich weiter -----
bis Mexico, da packten ihn die Revoluzzerhorden; es half kein Bruder, keine Queen --- man lieĂ ihn kĂŒhl ermorden.
Trieste blĂŒhtâ nur kurze Zeit, als es an Wien gehangen. seit italienâscher Einigkeit brach das GeschĂ€ft zusammenâŠ
Am Dienstag wurde es perfekt! Wir fuhren zu den Inseln. Palladio als Architekt lieĂ Veronese pinseln.
Ihm lagen bunte Farben fern, das WeiĂ nur lieĂ er gelten. Oval und rund, so baut er gern, sein Ruhm drang in die Welten.
Tintoretto, und Bellini, Tizian und Bozzoli; Veneziano, Piazetta, Canaletto, Angeli; Santacroce, Pellegrini, Sansovino, El Greco; Salviati, Veronese, Strozzi und Tiepolo; Schiavone, Schiamone,, Pordenone, Robbia; Menescardi, Zanchi, Moro, und CoronaâŠ.. Wir sind hier nun die Corona --- ach! Habt Erbarmen! Wir sind schwach!
Die Namen in den Köpfen schwirren, Oh! Der GemÀlde Riesenzahl! Wir werden uns noch hÀufig irren, und dem GedÀchtnis droht die Qual!
Ach! Wir lieben euch doch alle! Auch Formosa, dich, du dralle!
Am Mittwoch abend, ohne warten, brachtâ Elke â man erstaunte ganz â fĂŒr Meister Cherubini Karten, und âLa Feniceâ strahlt im Glanz!
So flogen unsâre Tage hin. Venedig war uns ganz Fiesta! Die Reise wird zum Hauptgewinn! Wem fehlte da noch die Siesta?
Elisabeth, sie fĂŒhrte weise, drang auf Erkenntnis strikt und stramm. Venedig? Eine Bildungsreise! (und kein Kegelclub-Programm!)
Himmel! SchĂŒtze unsâre Elke! Dass sie lebt und leben lĂ€sst, und uns ja nicht hier verwelke â mit uns reist nach SĂŒd, nach West.
Denn die Pizza und der Vino, sie sind hier so köstlich gutt ! Cappuccino, Macchiato --- Wen stört da das bisschen Schutt?
Also fassen wir zusammen: Folgen Goethes erster Tour! Lassen uns von ihm entflammen, Hoch Venezias Kultur!
Was fĂŒr einen Tag haben wir heute? den 14. Oktober 2010 ?
Venedig, den 14. Oktober 1786, zwei Stunden in der Nacht.
Ich verlasse Venedig gern: denn um mit VergnĂŒgen und Nutzen zu bleiben, mĂŒĂte ich andere Schritte tun, die auĂer meinem Plan liegen; auch verlĂ€Ăt jedermann nun diese Stadt und sucht seine GĂ€rten und Besitzungen auf dem festen Lande. Ich habe indes gut aufgeladen und trage das reiche, sonderbare, einzige Bild mit mir fort.